Vom 17.-18. September 2009 diskutierten entscheidungsbefugte Vertreter aus Politik und Sport über die zukünftigen Inhalte und die praktische Umsetzbarkeit einer europäischen Lizenzierung. Erstmals wurden in diesem Rahmen auch Fanvertreter eingeladen und einbezogen.

Die wichtigste Erkenntnis dieser Konferenz war die breite Befürwortung einer konkreten und weitreichenden Lizenzierung, insbesondere in Hinsicht auf finanziell nachhaltige Re- Investition der realen Einnahmen.

Die Teilnehmer der Konferenz

Nach Brüssel eingeladen und angereist waren Vertreter der Politik (Europäischer Kommission, Europaparlament, Council of Sports sowie nationaler Regierungen), der internationalen Verbände (u.a. UEFA, EPFL, FIFA, EOC, int. Eishockeyverband, Euroleague Basketball, ECA, Rugby Football Union), der nationalen Verbände (Fußball, Rugby, Basketball, Handball, Eishockey u.a. aus Deutschland, England, Spanien, Frankreich, Italien, Niederlande, Ukraine, Luxemburg, Slowakei, Schweden, Polen, Portugal), einiger Vereine (u.a. Bayern München, Bayer Leverkusen, Lokomotive Moskau, FC Barcelona, Olympique Lyon), der Spieler (Vereinigungen der Vertragsfußballspieler aus Deutschland, Spanien, England, Belgien und Europa), der Spielervermittler, des Sportartikelherstellerverbandes sowie einiger Fanorganisationen.

Die Fanvertreter bzw. die Fanorganisationen wurden von der europäischen Kommission direkt eingeladen. Dabei waren zum Einen integrativ und antidiskriminierend aktive Organisationen eingeladen (FARE, Kick it out) und zum Anderen Supporters Direct Europe sowie 3 weitere Organisationen, die innerhalb der Arbeitsgruppe „europäische Lizenzierung“ von Football Supporters Europe (FSE) aktiv mitarbeiten, je einen Vertreter zu entsenden: Federacion Accionists y Socios del Futbol Espanol (Emilio Abejon), Supportersfederatie Profclubs (Dirk Vos, Belgien) und Unsere Kurve (Ulrike Polenz). Antonia Hagemann (SD Europe) leitete während des europäischen Fankongresses den Workshop europäische Lizenzierung und ist seitdem federführend für die FSE- Arbeitsgruppe verantwortlich, Emilio und Dirk sind gewählte FSE- Kommissionsmitglieder und vertraten in Brüssel neben ihren nationalen Organisationen auch die FSE, Ulrike ist an der Ausarbeitung des Unsere Kurve- Positionspapiers zur europäischen Lizenzierung beteiligt (dieses wurde zusammen mit Fanvertretern aus Hamburg, Frankfurt und Köln für die FSE- Arbeitsgruppe erstellt) und innerhalb der FSE- Arbeitsgruppe aktiv.
Supporters Direct Europe hatte in Kooperation mit der FSE- Arbeitsgruppe im Vorfeld der Konferenz ein Exposé ausgearbeitet, welches die Grundlage für Antonias Rede in Brüssel und die gemeinsame Positionierung der Fanvertreter zur europäischen Lizenzierung darstellt. Die hierin enthaltenen Kernpunkte sind später in diesem Bericht ausführlicher dargestellt, darunter sind auch diejenigen aus dem Positionspapier von Unsere Kurve.

Im Vorfeld gab es bereits wichtige Entwicklungen

Für die Inhalte der Brüsseler Konferenz war die Einigung auf das gemeinsame „pro Lizenzierung“ aller 53 UEFA- Mitgliedsstaaten sowie der European Club Association (ECA) besonders wichtig. In einer gemeinsamen Tagung im französischen Nyon hatten diese beiden Organisationen bereits grünes Licht für die europaweite Schaffung von effektiv wirkenden Mindestanforderungen für Vereine gegeben. Zudem wurde vom UEFA Exekutivkomitee die Einführung dieser Maßnahmen beschlossen, wodurch in Brüssel nicht mehr das „ob“ sondern das „wie“ und „was“ in den Vordergrund rücken konnte. In Nyon wurden zudem bereits wichtige Eckpunkte der praktischen Arbeit entwickelt. So wird zum Einen von der UEFA ein unabhängiges „Club Financial Control Panel“ unter dem Vorsitz von Jean- Luc Dehaene eingerichtet, welches zukünftig das europäische Lizenzierungs- und Kontrollgremium darstellen wird.
Zum Anderen wurde von der ECA eine „Task Force“ eingerichtet, die sich in den kommenden Monaten besonders um die Entwicklung von aus Vereinssicht wünschenswerten Lizenzbedingungen und Sanktionen bemühen wird sowie ein Konzept zur praktischen Umsetzung erarbeiten möchte.

Die Entwicklung der europäischen Lizenz, Hintergründe

Die „Lizenzierung“ der UEFA wird seit der Saison 2004/05 basierend auf einem „manual“, einem „Handbuch“, durchgeführt. Bereits für die Saison 2009/10 wurde dieses überarbeitet und bekam unter anderem durch die Bezeichnung „regulations“, quasi „Regelbuch“, einen verbindlicheren Charakter.
Die nun stattfindende Überarbeitung wird allerdings noch um einiges weitreichender sein und die europäische Lizenzierung mindestens auf den Weg bringen, eine ernstzunehmende Herausforderung für das Management der Vereine zu werden. Das Ziel der nun begonnenen Diskussion und Entwicklung ist eine größere Finanzstabilität, nachhaltige Investitionen sowie eine infrastrukturelle und sozialverantwortliche Verbesserung bei gleichzeitiger Förderung der Gerechtigkeit im sportlichen Wettbewerb.

Durch die negativen Auswirkungen von Überschuldung und Wirtschaftskrise hat in den letzten Monaten ein (beschleunigtes) weitreichendes Umdenken in fast allen Nationen und Vereinen stattgefunden.
Bis auf einige wenige Unbelehrbare haben alle erkannt, dass der aktuelle status quo nicht mehr tragbar ist und eine grundlegende Sanierung des gesamten Fußballs vonnöten ist – bevor das System kollabiert. Dabei muss selbstverständlich eine sinnvolle Balance gefunden werden, da sowohl zu niedrig als auch zu hoch angesetzte Lizenzbedingungen nicht zielführend wären.

Diskutierte Inhalte für die europäische Lizenz

In Brüssel wurden nun verschiedene Lizenzmodelle der Fußball-, Basketball-, Handball- und Rugbyverbände auf nationaler und europäischer Ebene vorgestellt sowie Anregungen für die zukünftige europäische Lizenzierung mitgeteilt.
Zentraler Diskussionspunkt war die Finanzdisziplin der Vereine. Durch ein „Financial Fair Play“ (FFP), das als Kernforderung der Lizenzierung angesehen wird, soll das nachhaltige Re- Investieren von Einnahmen gefördert werden und die Verschuldung der Vereine abgebaut werden. Ziel ist ein verbindlicher Saisonabschluss im „Plus“ mit nur in begründeten Fällen (z.B. Stadionausbau) zulässigen Ausnahmen, sofern die Folgejahre die Verluste ausgleichen können.
Verständlicherweise gefällt diese Idee nicht allen Ligen. Insbesondere England äußerte, dass sie nicht mit allen Maßnahmen einverstanden sind: Lizenzierung fänden sie auch toll, dabei sollte die sportliche Seite im absoluten Vordergrund stehen, lediglich finanzielle Aspekte kämen für sie nicht in Frage. Sollte trotzdem das FFP als Bedingung eingeführt werden, dürften Sanktionen in keinem Fall den Ausschluss von europäischen Wettbewerben bedeuten.

Diese Ansicht steht sehr konträr zu den Vorstellungen der meisten Nationen, die eine möglichst weitreichende Lizenzierung insbesondere in finanziellen Fragen wünschen, um die Kostenspirale einzudämmen und den Fußball vor einer folgenschweren Pleitewelle zu bewahren. Einen tragfähigen Kompromiss zu finden, der eine reelle Verbesserung in nicht allzu ferner Zukunft zulässt, wird somit die schwierige Aufgabe für die kommenden Wochen und Monate sein.

Aus verschiedenen nationalen Lizenzmodellen (u.a. Irland, Niederlande, Deutschland, Österreich) wurden immer wieder die Vorteile deutlich hervorgehoben, die eine Reduzierung der Spielerkosten und eine nachhaltige Investition der so verfügbar werdenden Gelder nach sich ziehen: Infrastrukturelle Verbesserungen sichern langfristig die Standortsicherheit und Attraktivität des Stadion- oder Hallenbesuchs, soziale Projekte fördern die soziale Bindung zwischen Verein und Region, das Verständnis für exorbitante Spielergehälter nimmt in der europäischen Gesellschaft zunehmend ab und schafft eine Distanz zwischen Verein und Fans – durch die Umverteilung wird dieser Entwicklung entgegengewirkt.
Es sind also gute Modelle als Anhaltspunkt für die Europalizenz vorhanden – in der Grundausrichtung herrscht weitgehender Konsens fast aller Beteiligten.

9 Monate sind für die Ausformulierung der europäischen Lizenz vorgesehen, welche erstmals für die Saison 2012/13 von allen Teilnehmern der europäischen Wettbewerbe vollumfänglich zu erfüllen ist. Bis zu dieser Saison haben die Vereine eine Übergangsfrist, in der sie sich derart umstrukturieren können, dass sie die neuen Anforderungen und Bedingungen erfüllen.
Neben dem FFP werden darin infrastrukturelle (Stadion, Anfahrt etc), administrative (Management, Fanbetreuung etc.) und sportliche (Jugendförderung, Trainingsbedingungen etc.) Kriterien die Hauptanforderungen an die Vereine bedeuten.

Eingebrachte fanrelevante Inhalte

Durch die Einbindung von Fanvertretern in die Brüsseler Konferenz konnten bereits zu diesem frühen Verhandlungszeitpunkt aus Fansicht wichtige Bedingungen in die Diskussion eingebracht werden, die bisher auf europäischer Ebene kaum Beachtung fanden.

Zunächst ging es allerdings auch darum, zu verdeutlichen, welche Schlüsselfunktion Fans im „Gesamtkonstrukt“ Fußball einnehmen und dass es nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht fahrlässig ist, die Faninteressen dauerhaft zu vernachlässigen.
Zwar zeichnen sich Fans durch eine besonders große Loyalität gegenüber ihrem Verein aus und verzeihen viele Fehler – jedoch sollte diese Loyalität nicht überstrapaziert werden, wenn ein Verein seine Basis und damit seinen eigenen Marktwert nicht gefährden möchte.

Zum Anderen ging es um die speziellen Forderungen, die in Bezug auf Fanbelange innerhalb einer Lizenz durch Vereine erfüllt werden sollten. Ein besonders wichtiger Punkt ist dabei die europaweite Installierung von Fanbeauftragten innerhalb der Vereins- und Verbandsstrukturen. Dieser in Deutschland bewährte „Mediator“ sollte mittelfristig in ganz Europa die Kommunikation zwischen Fans, Vereinen und Verbänden fördern und fester Ansprechpartner in fanrelevanten Fragen sein.
In engem Kontakt zu diesem sollten Sicherheitsbeauftragte der Vereine stehen, die viele Konflikte zwischen Fans, Ordnern und Polizei durch Schaffung de- eskalierender Stadionsituationen vermeiden können.

Darüber hinaus sollte auch über die UEFA- Lizenz gesichert sein, dass Fans angemessenen Einfluss auf das Clubmanagement, die Satzung und relevante Entscheidungsprozesse innehaben, um die gesellschaftsbasierte Ausrichtung zu stärken.
Fanvertreter sollten zudem von/ aus vereinsinternen und /oder –externen Fanorganisationen gewählt werden. Diese dienen als erster Ansprechpartner für Vereine und stellen das fanseitige Äquivalent des Fanbeauftragten dar.
Für Vereine und Nationen, in denen keine organisierten Fanstrukturen etabliert sind, sollte die UEFA deren Aufbau fordern und fördern.

Die Kernforderung in finanzieller Hinsicht bezieht sich auf mehr Transparenz, wodurch die Clubs auch von ihrer Basis zu mehr Disziplin und Nachhaltigkeit angehalten werden dürften. Darüber hinaus unterstützen wir eine Umsetzung des FFP in möglichst weitreichender Form.

Infrastrukturell sollten vermehrt Fanräume beim Stadionbau berücksichtigt werden, Gästeblöcke ein Mindestmaß an Komfort bieten (Verpflegung und Toiletten) und eine Möglichkeit geschaffen werden, dass Stehplätze auch bei internationalen Spielen zugelassen werden können.

Viele der von den Fanvertretern eingebrachten Forderungen wurden von europäischer Kommission und UEFA begrüßt, sodass die zukünftige Arbeit der FSE- Arbeitsgruppe darin bestehen wird, tragfähige und umsetzbare Konzepte in Bezug auf die erwünschten Veränderungen zu entwickeln. Unsere Kurve und der ASC werden sich hierfür weiterhin einsetzen und aktiv mitarbeiten, um weitere wichtige Fanbelange in Bielefeld, Deutschland und Europa zu etablieren. Wieweit diese Forderungen direkt Eingang in die europäische Lizenz finden, lässt sich derzeit nur sehr schwer abschätzen. Wir hoffen, dass die nun folgenden Verhandlungen viele der relevanten Punkte berücksichtigen werden. In jedem Fall ist das Bewusstsein für Faninteressen auch auf europäischer Ebene angekommen, was mindestens einen guten Anfang bedeutet.

Wichtige Aussagen zur 50+1- Problematik aus Brüssel

Im Rahmen der Diskussionen wurden auch in Bezug auf die bei uns hochaktuelle 50+1- Diskussion sehr positive Aussagen getätigt:
Zum Einen wurde in einem Redebeitrag der EPFL (European Professional Football League, quasi die europäische DFL) mitgeteilt, dass diese die „Eigentumsverhältnisse der Vereine als Thema angehen“ wird – was zeigt, dass dort die Problematik der in Fremdbesitz befindlichen Vereine durchaus erkannt ist und nach Lösungen für die durch sie verursachten Gefahren gesucht wird.
Zum Anderen war eine Äußerung der Europäischen Kommission, dass auch ein lizenzierter Mindestbesitz der Vereine an ihren ausgegliederten Kapitalgesellschaften unter die anerkannten Besonderheiten des Sports fallen dürfte und somit in keinem rechtlichen Widerspruch zu geltendem EU-Recht stehen dürften.
Der in letzterem Beitrag genutzte Konjunktiv belässt ein Restrisiko, dass der Europäische Gerichtshof letztendlich doch anders entscheiden könnte – nichtsdestotrotz zeigt sich auf europäischer Ebene auch in dieser wichtigen Frage eine Tendenz, die zum Wohle des Fußballs und des fairen Wettbewerbs pro 50+1 deutet.

Hieraus ergibt sich für Deutschland eine große Chance – jedoch auch eine große Gefahr.
Die Chance lautet, dass die strikte Regelung, die Vereinen vorschreibt, die Anteilsmehrheit (50% und 1 Stimme) an ihren Kapitalgesellschaften halten zu müssen, mit EU-Recht vereinbar und somit erhalten bleiben kann. Dies würde dem Vereinsfußball langfristig seine Seele, seine gesellschaftliche Basis erhalten.
Die Gefahr besteht hingegen darin, dass der kommende DFL- Bundestag genau in dem Moment, in dem ganz Europa (außer England) umzudenken beginnt, die wichtige 50+1- Regel aufweicht und damit genau die Probleme, die Europa umdenken lassen, nach Deutschland holt. Der Antrag zur Abstimmung über eine Aufweichung der strikten Regel wurde von Martin Kind bereits eingereicht, sodass es nun in der Hand der 36 Profilizenzinhaber liegt, eine für den deutschen Vereinsfußball sinnvolle und langfristig kluge Entscheidung zu treffen.

Wir werden als ASC und innerhalb von Unsere Kurve unser Möglichstes dazu beitragen, dass auch in Zukunft die Entscheidungen von den Vereinen selbst getroffen werden und der Einfluss von außen in gesundem Rahmen bleibt.

Weiterführende Links:
Rede von Antonia Hagemann, Supporters Direct Europe
http://www.supporters-direct.org/news/item.asp?n=5584&cat=sd_eng

weitere vertretene Fanorganisationen
www.unserekurve.de
http://sfp-fsp.eu/nl/
www.fasfe.org/
www.footballsupportersinternational.com/en/

Seite der Europäischen Kommission, Sportbereich
http://ec.europa.eu/sport/index_en.htm