Fankongress Berlin

In erster Linie sollte der Grundgedanke, der auch hinter der Fandemo stand, durch den von ProFans organisierten Fankongress die wichtigen Fanthemen weiter voranbringen helfen. Dabei geht es auch darum, bei den Themen, die für alle Fanszenen in Deutschland wichtig sind, mit einer Stimme und gemeinsam zu sprechen.

Die Themenvielfalt und die zahlreichen sehr guten Referenten trugen wesentlich dazu bei, dass es beim Kongress spannende und interessante Diskussionen in nahezu allen Foren gab. Neben diesen war ein sehr wichtiger Aspekt das „Networking“ – das persönliche Gespräch mit Fans anderer Vereine, aus anderen Ländern – und der dabei mögliche Erfahrungsaustausch rund um Strategien und Entwicklungen in den einzelnen Vereinen. Konkrete Ergebnisse gab es am Ende des Wochenendes zwar nicht zu vermelden, trotzdem leistet der Fankongress von ProFans einen positiven Beitrag für die Entwicklungen im deutschen Fußball.

Der ASC war in Berlin mit einem Vertreter vor Ort, während die meisten Aktiven in Bielefeld für Fanparty und Hamburgspiel im Einsatz waren. Es geht für den ASC dabei nicht nur an diesem Wochenende vorrangig darum, die Situation in Bielefeld selbst zu verbessern – doch auch, wenn die Energie vor allem auf Arminia konzentriert wird, ist es gleichzeitig sinnvoll, die überregionalen Themen nicht ganz aus dem Auge zu verlieren, da in diesen deutschland- und europaweit relevanten Entscheidungen vieles dabei ist, das Auswirkungen auf den Fußball und das Fansein in Bielefeld haben wird.
Aus diesen Gründen waren auch aus der Bielefelder Fanszene vier aktiv bei ProFans engagierte Vertreter vor Ort, zudem sind sie aktiv in der „Pyrotechnik legalisieren“- Kampagne, in deren Rahmen aus der Fanszene heraus ein auf Bielefeld zugeschnittenes Konzept entwickelt worden war. Dass das positive, überregionale Engagement bei ProFans wieder stärkere Bedeutung in der Bielefelder Fanszene bekommt, verdeutlichte dabei die Präsenz beim Kongress. Darüber hinaus war das Bielefelder Fanprojekt in Berlin vertreten, das überregional u.a.  in der AG Fanbelange des DFB mit einem Sitz für die Fanprojekte vertreten ist. Insgesamt ist Bielefeld damit auf überregionaler Ebene sehr stark vertreten, wenngleich dieses Engagement keine schnellen Veränderungen bewirkt, sondern vielmehr weitere Einschnitte in die Fankultur in Deutschland zu verhindern sucht.

Immer wieder tauchen als mögliche Einschnitte beispielsweise die Reduzierung der Stehplätze, personalisierte Eintrittskarten oder auch Einschränkungen bei Auswärtsfahrten als „innovative“ neue Maßnahmen auf. Diese Überlegungen aus Politik, Medien und anderen Stellen durch sinnvollere Lösungsansätze aus einem gemeinsamen Dialog mit den Vereinen und Verbänden heraus vermeiden zu können, war auch beim Fankongress ein immer wiederkehrender Diskussionsinhalt.

Ist es möglich, als Fan von Verbandsvertretern als ernstzunehmender Gesprächspartner und wichtiger Beteiligter im Fußball wahrgenommen zu werden? Oder ist das Maximum, sich mit den Verbänden zu unverbindlichen Gesprächsrunden treffen zu dürfen und damit im Gespräch und nicht aus der Presse erfahren zu können, dass Faninteressen auch in der nächsten Entscheidung nicht wichtig genug waren, um berücksichtigt zu werden? Wohin geht die Reise im modernen deutschen Fußball?

Das Programm des Kongresses beleuchtete verschiedene Problemfelder und bot den Rahmen für wichtige Diskussionen, generellen Erfahrungsaustausch und das beleuchten von Hintergründen.
Der Samstag stand dabei ganz im Zeichen der in Deutschland aktuellen Themen, während der Sonntag einen Blick über den Tellerrand ins europäische Ausland ermöglichte. Das Programm bot unterschiedliche Themenschwerpunkte, die meist in zwei Diskussionsforen mit vielversprechenden Referenten unterteilt waren.

Insgesamt wurden die Diskussionen auf einem sehr guten und sachlichen Niveau geführt, wenngleich nur wenige konkrete Ergebnisse am Ende des Kongresses festgehalten werden konnten. Nichtsdestotrotz gab es in allen Bereichen Ansätze, die in der Lage sind, Verbesserungen zukünftig erreichen zu können oder das Engagement der Fangruppen effektiver werden zu lassen. Wir ziehen daher ein positives Fazit aus dem Fankongress, selbst wenn dies nicht an konkret erreichten Zielen festgemacht werden kann.

Im Folgenden könnt Ihr eine etwas ausführlichere Zusammenfassung der einzelnen Foren nachlesen, außerdem findet Ihr hier das offizielle Abschlussdokument von ProFans :

1. Thema: Wem gehört der Ball? Der Fußball zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und Privatrecht

Am Vormittag ging es hier um das Thema Stadionverbote, wobei im Wesentlichen die bekannten Positionen ausgetauscht wurden. Das Podium war dabei sehr stark besetzt und mit Hendrik Große-Lefert (Sicherheitsbeauftragter DFB) und Andre Weiß (Sicherheitsbeauftragter Energie Cottbus) konnten auch zwei Vertreter gewonnen werden, die in die Vergabe von Stadionverboten aktiv involviert sind. Dazu kamen mit Marco Noli (Fananwälte), Antje Hagel (Fanprojekt Offenbach), Jannis Busse (Ultras Hannover) und Gerd Dembowski (Sozialwissenschaftler) weitere Beteiligte, die regelmäßig mit der Stadionverbotsthematik zu tun haben.

Es standen sich in der Debatte teils konträre Ansichten über die Nutzung der Stadionverbote gegenüber. Einerseits, Stadionverbote als probates, präventives Mittel nutzen zu können (bzw. zu müssen), wohingegen auf der anderen Seite mehr und mehr das Gefühl entsteht, dass das Stadionverbot nicht mehr als Prävention sondern als Ersatzstrafrecht wahrgenommen und genutzt wird, was die Akzeptanz nicht erhöht. Für Aufkleber ein Stadionverbot zu bekommen oder auch ganzen Gruppen, in denen viele Unschuldige in Generalverdacht gestellt werden, pauschal Stadionverbote auszustellen, zeugt nicht von der Anwendung, die ursprünglich vorgesehen war und wenig Kritik hervorrufen würde. Dabei wurde jedoch auch hervorgehoben, dass es inzwischen mehr Vereine gibt, die vorbildlich mit Anhörung, Bewährungen und differenzierten Stadionverbotsdauern arbeiten. Hier wurde dementsprechend der erste Ansatz zu Verbesserungen gesehen – nämlich die standortspezifischen Unterschiede zu vermindern und die Prozesse bis zur Aussprache der Stadionverbote zu optimieren.

Am Nachmittag folgte das Thema Anstoßzeiten, bei dem deutlich herauskam, dass (am Stadionbesuch interessierte) Fans bei den Planungen keine wirkliche Rolle spielen, den Wünschen der TV- Anstalten jedoch nach Möglichkeit entsprochen wird. Aus diesem Grund ist auch die Häufung von Montagsspielen für die „größeren“ Zweitligavereine leicht nachzuvollziehen, wobei Verbesserungen kaum greifbar scheinen. Eine Einbindung von Fans in die Spieltagsplanungen konnte vom an der Diskussion teilnehmenden Holger Hieronymus (Geschäftsführer DFL) nicht in Aussicht gestellt werden, da er für einen solchen Schritt erst Rücksprache mit den Vereinen halten müsse. So blieb in diesem Bereich eher die Erkenntnis zurück, dass es noch ein schwieriger Weg ist, bis Spiele für Stadionbesucher wieder besser planbar und organisierbar werden.


2. Thema: Fankultur als soziales Phänomen

Hier ging es am Vormittag rund um die Eintrittspreise und die Kampagne „Kein Zwanni für`n Steher“. Dass es dieser nicht um die Grenze von genau 20 €, sondern vielmehr um sozialverträgliche und faire Eintrittspreise geht, wurde hier schnell deutlich. Als anschauliches Beispiel wurde angeführt, dass durch die inzwischen weit verbreiteten Topzuschläge Fans des FC Bayern in der Saison 2009/ 2010 ganze 54 € mehr Eintritt zahlen mussten, wenn sie alle Auswärtsspiele ihrer Mannschaft besuchten, als es einen Fan des VfL Bochum gekostet hat, seiner Mannschaft in alle Stadien zu folgen. Auch durch die insgesamt steigende Preisstruktur verändert sich die Sozialstruktur auf den Blöcken, was insbesondere junge Menschen und Familien trifft. Die Vereine werden ihrer sozialen Verantwortung immer weniger gerecht. Die Initiative „Kein Zwanni“ möchte dieser Entwicklung entgegenwirken und ist dabei auf die Unterstützung möglichst vieler Fans unterschiedlicher Vereine angewiesen. Sie ruft daher alle Fans, ausdrücklich nicht nur Ultras, auf, gegen Missstände vorzugehen und sich mit lokaler Arbeit zu beteiligen.

Der Nachmittag war der Ultrakultur und ihren Facetten gewidmet, wobei zum Einstieg verschiedene von Ultragruppierungen organisierte soziale Projekte vorgestellt wurden. Das karitative Engagement ist jedoch nur ein Aspekt, der den positiven Einfluss der Ultras verdeutlicht. Jugendlichen wird durch Ultragruppen ein großer Rückhalt gegeben und ein breites Spektrum an Möglichkeiten, sich positiv für Verein und Umfeld zu engagieren. Nicht nur bei Choreos, Fahrtorganisationen oder (karitativen) Aktionen wird immer stärker die Verantwortung der Gruppen direkt greifbar. Da das positive Engagement in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so stark zum Tragen kommt, empfiehlt Ralf Buschmann (Redakteur des Spiegel) in der Diskussion, die Kommunikationsstrukturen zu professionalisieren. Auch ist er sich sicher, dass der Stadionbesuch ohne Ultras den meisten keinen Spaß machen würde.


3. Thema: Die Chancen und Grenzen von Selbstregulierung, Freiheit und Verantwortung in den Fankurven

 Am Vormittag ging es in diesem Thema zunächst um Freiheiten und Fanutensilien. Wobei das Modell vorgestellt wurde, bei dem allen Fangruppen alle Fanutensilien so lange erlaubt werden, wie sie sich an wenige Auflagen halten, zu denen vor allem der Verzicht auf Pyrotechnik gehört (Dortmunder bzw. St. Pauli- Modell). Hatte das Modell noch vor wenigen Jahren sehr positive Reaktionen hervorgerufen und viele Befürworter, sieht ProFans es inzwischen als eine Form der Erpressung an, mit der bestimmte Verhaltensweisen verhindert werden sollen. Positive Fankultur hingegen benötige eine Plattform, auf der sie sich entwickeln und entfalten könne. Hierzu wurde als zweites Beispiel die Pyrokampagne als positives Beispiel für Selbstregulierung und Eigenverantwortung vorgestellt. Gerald von Gorrisson räumte als Vertreter des DFB (Leiter Fananlaufstelle) mögliche Kommunikationsfehler ein, sieht jedoch auch keinen Ausweg aus der aktuell verfahrenen Situation. Es bleibt wünschenswert, dass ein Weg zurück zum Dialog gefunden wird und die in den Gutachten theoretisch möglichen Ausnahmen ergebnisoffen auf Augenhöhe diskutiert werden können.

Der Nachmittag war dem Thema Fangewalt gewidmet, bei dem sich erstmals auch sehr stark rivalisierende Gruppen miteinander auseinandersetzten. Die Meinungen gingen mitunter weit auseinander, trotzdem wurde die Diskussion als sehr gut und als wichtiger Schritt bewertet. Die Inhalte wurden bewusst nicht im Detail vorgestellt, sie werden jedoch in die einzelnen Gruppen hineingetragen und der Dialog zur Fangewalt fortgeführt werden.


4. Thema: Identifikation der Fans mit dem Verein in Zeiten des „modernen Fußballs“

Am Vormittag wurden zunächst Diskussionen über das Engagement von Fans für den Erhalt der Vereinsidentität geführt. Als Beispiele wurden der Kampf um das Wappen beim VfB Stuttgart und Aktionen bei Union Berlin zum Traditionserhalt vorgestellt. Außerdem beleuchtete das Beispiel „Max-Morlock-Stadion“ in Nürnberg, wie auch mit etwas neuem eine identitätsstiftende Wirkung für Verein und Fanbasis erreicht werden kann. Dass sich Fangruppen aktiv für Traditionen und Werte des Vereins engagieren, steht mit dem Ultragedanken in direkter Verbindung. Dabei wurde angemerkt, dass es mitunter von Vorteil sein könne, solche Kampagnen in der Außenwirkung nicht allein in der Ultragruppe aufzuhängen, um sie autonomer darstellen zu können.

Am Nachmittag lag der Schwerpunkt in der Frage, wie Identifikation bei Fans entsteht und was wichtig ist, um diese zu erhalten. Grundsätzlich wurde von allen Teilnehmern der Diskussion bestätigt, dass früher wie heute zunächst das Erlebnis in der Kurve identitätsstiftend wirkt und dafür sorgt, dass das Erlebnis „Livefußball“ faszinierend wirkt. Wer das erste Mal auf dem Block stehe, habe sich in der Regel im Vorfeld nicht mit Gründungsgeschichte, Historie der Vereinsfarben und –wappen oder Strukturen im Verein beschäftigt, vielmehr werde das Fansein durch die Kurve und die Freundschaften auf dem Block geprägt, für die der Verein zunächst nur den Rahmen bietet. Erst später, wenn sich die emotionale Bindung an die Kurve gefestigt hat, würden die im Verein selbst verankerten Identitäten für das eigene Fansein bedeutend und machten in gewisser Weise die Unterscheidungsmerkmale zu all den Vereinen aus, zu denen keine emotionale Bindung besteht. Als ausgesprochen positiv wird daher auch von Diskussionsteilnehmern wahrgenommen, dass die Vereinsfarben allmählich wieder in den Fanblock, insbesondere in die aktiven Fanszenen, zurückfinden und das vereinsunabhängige, einheitliche Schwarz zumindest in einigen Kurven wieder ablösen könnten.

Ärgerlich sei es für alle Fans, wenn der eigene Verein, speziell durch medial aufgegriffenes Fanverhalten, negativ betrachtet wird. Dabei sei es oft sehr schwer, für Fans normale Rituale auch Außenstehenden zu vermitteln. Insbesondere, da inzwischen eine so große Medienpräsenz vorherrscht, dass mehr Leute Berichte mitbekommen, die früher mit dem Ligaalltag keine Berührungspunkte hatten und heute in TV und Printmedien kaum daran vorbeikommen, jedoch nur einen oberflächlichen Eindruck vermittelt bekommen. Gerade bei diesen entstehe schnell ein Eindruck vom Stadionalltag, der mit der Realität wenig gemein habe und der eher von einem ersten Stadionbesuch abhält – der zudem ein Image zeichne, das mitunter in großem Kontrast zur gelebten Identität stehe. Hier gelte es, die Medien auch aktiv stärker auf positive Ereignisse im Stadion aufmerksam zu machen und positive Berichte zu fördern. Zudem sei es wichtig, Identifikation hochzuhalten und weiterzugeben, um die Einzigartigkeit der Vereine gerade im modernen Fußball zu erhalten und zu verdeutlichen.


5. Thema: Wie schaut der Fußball in Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?

Zu diesem Thema wurde nur am Vormittag ein Diskussionsforum angeboten, das es jedoch in sich hatte. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Fans wurden hinterfragt, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob die 50+1- Regel hierfür eine Rolle spielt.
Den Einstieg bildeten vier Vorträge, bei denen Jens Wagner die Strukturen und durch diese gegebene Möglichkeiten der Mitsprache beim Hamburger SV darstellte. Da der HSV bisher keine Ausgliederung vorgenommen hat, seien die Mitgliederrechte außerordentlich wertvoll und die Mitgliederversammlung habe deutlich mehr Einfluss auf die relevanten Entscheidungen als dies bei Vereinen sei, bei denen die Profiabteilung nicht mehr direkt dem Verein angehört.
Martin Kind erläuterte anschließend die Pläne, wie eine kontrollierte Öffnung für Miteigner ausgestaltet werden könne und wo die rechtlichen Schwierigkeiten bestehen, wenn an der 50+1- Regel wie bisher festgehalten werden sollte. Er plädiert dafür, dass Vereine selbst entscheiden können sollten, ob und welche Strukturen ihre Zukunft positiv beeinflussen, wobei jedem Verein auch bei einer Lockerung der 50+1- Regel viele eigene Gestaltungsmöglichkeiten gegeben seien. Zudem gebe es viele einschränkende Kriterien, die für eine Genehmigung durch den DFL- Vorstand zum mehrheitlichen Verkauf von Anteilen in der Diskussion sind. So würden u.a. Fit- and Proper- Tests, Beschränkung auf nur einen Investor, eine Verpflichtung zum Halt der Anteile über mindestens 10 Jahre, der unentgeltliche Rückfall der Anteile im Insolvenzfall oder auch die Verpflichtung zum Markenerhalt und zur Markenpflege diskutiert und sollen dazu beitragen, dass eine willkürliche oder zu stark mit Eigeninteressen verbundene Übernahme von Mehrheitsanteilen unwahrscheinlich wird. Er sieht immer den Verein in der stärkeren Position, da dieser der verkaufende Partner ist und damit die Bedingungen bestimmen könne, wenngleich er in der Diskussion einschränkt, dass ein Verkauf „mit dem Rücken zur Wand“, also in finanziellen Notlagen, nicht als Paradebeispiel dienen könne. Unsicher ist dabei ebenfalls, ob im Klagefall beispielsweise ein Weiterverkaufsverbot über eine bestimmte Zeitdauer oder der automatische Rückfall der Anteile an den Verein bei Insolvenz des Eigners juristisch haltbar wäre.
Zur rechtlichen Einschätzung der aktuellen Situation konnte René Lau (Fananwälte) anschließend in seinem Vortrag detaillierter Auskunft geben – insbesondere thematisierte er die Gründe für die Entscheidung des Schiedsgerichts. Dieses sah in der Stichtagsregelung eine Ungleichbehandlung der Vereine und strich sie mit sofortiger Wirkung aus dem Reglement. Hierdurch muss ein Sponsor nur insgesamt über 20 Jahre den Verein „wesentlich unterstützt“ haben und dies nicht mehr (wie bisher) bereits 20 Jahre vor dem 1.1.1999 begonnen haben. Diese Öffnung in einem für den Fußball sinnvollen und gleichzeitig juristisch haltbaren Reglement wieder zu schließen hält er für nahezu unmöglich. Umso wichtiger ist ihm, dass jedes Vereinsmitglied darauf hinwirkt, die eigenen Rechte in den Satzungen zu stärken – und hierüber indirekt einen Ausverkauf der Vereine in Deutschland zu verhindern.
Für Unsere Kurve sprach anschließend Robert Pohl und stellte noch einmal nüchtern und klar heraus, aus welchen Gründen die 50+1-Regel so wichtig für Vereine und Mitglieder ist und welche Positionen Unsere Kurve vertritt. Die Interessen der Mitglieder- und Fanbasis seien in vorbildlicher Weise am Vereinswohl ausgerichtet und unterlägen keinerlei persönlichen, finanziellen oder dritten Interessen. Sie schützten den Verein somit vor schädlichen oder sportfremden Einflüssen, bewahrten Traditionen und bildeten seine wirtschaftliche Grundlage. Die 50+1- Regel spiele bei den Möglichkeiten eine große Rolle, die Mitgliedern und den Vereinen selbst geboten werden, um auf Entwicklungen in „ihrem“ Profibereich Einfluss nehmen zu können. Nicht zuletzt, weil in der DFL immer mehr ausgegliederte Kapitalgesellschaften die Muttervereine „vertreten“, denen sie gehören (da die Kapitalgesellschaften meist der Lizenznehmer in der DFL sind). Gehörten nun die Kapitalgesellschaften auch noch mehrheitlich anderen Wirtschaftsunternehmen, so würde die DFL nach und nach zu einer Liga, in der sich private Wirtschaftsunternehmen miteinander messen und den „Volkssport Fußball“ endgültig ad absurdum führen.
Die Vereine und ihre Rechte müssten somit gestärkt werden statt durch die Öffnung von Mehrheitsverkäufen zusätzlich unter finanziellen Druck gesetzt zu werden. Die 50+1- Regel ist dabei nicht nur im Faninteresse sondern  – empirisch belegt – auch im Interesse der überwiegenden Mehrheit der Vereine in Liga 1-4. Unsere Kurve vertritt daher die Position, dass zum Erreichen einer Gleichbehandlung auf keinen Fall eine generelle Öffnung geschehen darf, sondern dass vielmehr die beiden Ausnahmen, Leverkusen und Wolfsburg, ihre Strukturen zum Gemeinwohl so regulieren sollten, dass die 50+1- Regel für alle Vereine beibehalten werden kann. Die gesamte Präsentation ist hier zum Download eingestellt.

In der anschließenden Diskussion wurden einige mahnende Beispiele aufgeführt, die deutlich machen, dass ein sehr starker Einfluss von außen den Vereinen keine dauerhaften Vorteile eingebracht haben. Unter anderem über TeBe und Union Berlin berichteten Fans, wie die Einflüsse von außen zum Zusammenbruch führten, über das „Flüchten“ der Verantwortlichen und den schwierigen Wiederaufbau durch die Fanbasis.
Damit Faninteressen nicht erst gehört werden, wenn es schon (fast) zu spät ist, sei es wichtig, dass sich Fans organisiert im Verein einbringen und in den Satzungen ihre Rechte fest verankern. Hierzu zählen für ein weiteres anwesendes Unsere Kurve- Mitglied insbesondere die Einbeziehung in Entscheidungsprozesse, die Vorgabe, dass Anteilsverfügungen und Kapitalerhöhung nur nach Zustimmung eines hohen Mitgliederquorums in der Vereinsversammlung geschehen dürfen und dass in der Satzung festgeschrieben ist, wie viele Anteile und wie viele Stimmrechte dem Verein gehören müssen, wenn dieser ausgegliederte Tochtergesellschaften besitzt.
Außerdem wies ein Diskussionsteilnehmer darauf hin, dass derzeit ein neuer Trend um sich zu greifen scheint, bei dem Vereine fremdfinanzierte Spieler verpflichten, dafür jedoch auch mögliche Transfererlöse an diesen Spielern abtritt. Für den Moment der Verpflichtung möge das ein attraktiv erscheinender Weg zur Kaderverbesserung mit Hilfe von Unterstützern sein, langfristig gehe den Vereinen und dem Fußball als Ganzes jedoch viel Geld verloren, das stattdessen auf die Konten finanzstarker Unternehmen fließe. Diese Entwicklung solle auch von Fans und Mitgliedern kritischer hinterfragt werden, selbst wenn der Verein im ersten Moment einen Wettbewerbsvorteil zu haben scheint.

Bielefeld ist in der Diskussion ebenfalls thematisiert worden, sei bei den zuvor dargestellten Überlegungen und Grundsatzfragen derzeit jedoch kein gutes Beispiel. Dies habe zwei wesentliche Gründe: Zum Einen hätten hier die Vereinsmechanismen selbst versagt und kein Außenstehender habe Arminia in die Schuldenfalle getrieben – zum Anderen sei seit etwa zwei Jahren immer wieder die Situation „mit dem Rücken zur Wand“, die die vereinseigene Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in gewisser Weise einschränke. Wie schon Martin Kind ziemlich zu Beginn der Diskussionen einräumte, kann ein Verein in solchen Situationen durchaus gezwungen sein, auch gegen die eigenen Vorstellungen Bedingungen und Maßnahmen zu akzeptieren, die ohne finanziellen Druck als inakzeptabel abgelehnt würden.
Am Beispiel Bielefeld wurde in der Diskussion vielmehr darauf hingewiesen, dass eine Öffnung der 50+1- Regel zwar den „gesunden“ Vereinen selbstbestimmte Handlungsspielräume eröffne, andere Vereine jedoch unter zusätzlichen Druck gestellt würden. Dabei wurde auf weitere Vereine hingewiesen, die derzeit finanziell angeschlagen sind und dass die Gefahr bei geöffneter 50+1- Regel eher von diesen angeschlagenen Vereinen ausginge, wenn man den Ligawettbewerb in Deutschland als Ganzes betrachte. Wären diese auf finanzielle Hilfe von außen angewiesen, könnten sie die Bedingungen wahrscheinlich nicht selbst definieren und müssten die Bedingungen der Unterstützer akzeptieren, die sich verständlicherweise die Bedingungen wünschen würden, die den größtmöglichen eigenen Einfluss ermöglichen: die Übernahme der Mehrheitsanteile. Es drohe somit eine schleichende Übernahmewelle, die von unten beginnt. Nichtsdestotrotz sei es gerade für finanziell angeschlagene Vereine wichtig, dass Fan- und Mitgliederinteressen stärker berücksichtigt werden, damit Identifikation und das Interesse am Vereinswohl effektiver als Schutz in Entscheidungen einfließen können und die Bindung der Fan- und Mitgliederbasis auch in schwierigen Zeiten erhalten bleibe.

6. Thema: „Rechtsfreier Raum“ Stadion?

Am Vormittag ging es in diesem Forum um den Datenschutz. Rund um den Fußball habe sich in Deutschland ein fragwürdiger Umgang mit Daten etabliert, wobei durch die oft in rechtlichen Grauzonen praktizierte Weitergabe und Nutzung von Daten Grundrechte massiv eingeschränkt würden. Es wurden Beispiele vorgestellt, wie sich Fans gegen den Missbrauch von Daten erfolgreich zur Wehr gesetzt haben:

Nachmittags widmete sich das Forum der öffentlichen Dramatisierung unter dem Motto „Wir waren beim Fußball und haben es überlebt“. Leider hatte die ZIS kurzfristig beschlossen, dass der eingeladene Vertreter nicht beim Kongress vor Ort sein sollte, sodass ein wichtiger Adressat fehlte. Er hätte zudem zur statistischen Datenerhebung, u.a. zur nicht stattfindenden Differenzierung von Verletztenzahlen (z.B. nach Fangewalt, Pfefferspray, Unfall) wichtige Beiträge geben können, so aber konnten die bestehenden Fragen nicht klärend diskutiert werden. Die Anwesenden waren sich im Diskussionsverlauf einig, dass die Realität in den Stadien sich in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich verbessert hat – ein Kongress wie jetzt in Berlin sei in den 80ern vollkommen undenkbar gewesen. Selbst wenn viele Stellen etwas anderes zu vermitteln suchten, begebe sich niemand in besondere Gefahr, wenn er ein Fußballspiel besuche. Rund um die Stadien sei früher deutlich mehr Gewalt an der Tagesordnung gewesen, allerdings sei damals der öffentliche Focus nicht so stark darauf ausgerichtet gewesen.

7. Thema: Der Internationale Teil am Sonntag hatte fünf parallel stattfindende Foren, in denen es um die Situation in anderen europäischen Ländern ging:

Insgesamt waren die Tage in Berlin sehr abwechslungsreich und mit interessanten Diskussionen gefüllt – insbesondere für die Zusammenarbeit der Fans in Deutschland (zum Teil auch über Deutschland hinaus) war der Kongress in unserer Einschätzung ein wichtiger Schritt. ProFans hat eine tolle Veranstaltung organisiert, bei der alle Anwesenden Neues erfahren und sich austauschen konnten. Durch die sehr guten Referenten wurde zudem viel Wissen in den Kongress hineingebracht, was die Diskussionen durchweg positiv beeinflusst hat. Dass Martin Kind zu der Diskussion in einem solchen Rahmen bereit war, verdient in jedem Fall Respekt – nicht alle offiziellen Stellen haben sich dem Dialog beim Fankongress stellen wollen. Was wiederum mitunter schade für die Foren war.

Wir freuen uns nach wie vor, dabei gewesen zu sein und hoffen, dass sich (auch) aus dem Kongress weitere positive Entwicklungen für die vereinsübergreifende Zusammenarbeit entwickeln werden.

 

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