Warum der einfache Weg nicht der beste ist

Ohne Zweifel hat der Fußball ein Problem mit gewalttätigen Auseinandersetzungen von Fans. Mit Fangruppen, die nach ihren eigenen Definitionen über Diebstahl, Raub, Vandalismus oder Schlägereien das Ansehen der eigenen Gruppe und des eigenen Vereins zu verbessern glauben. Mit Extremisten, die menschenverachtende Gesinnungen immer wieder in die Kurven zu tragen versuchen. Mit dem illegalen und unkontrollierten Einsatz von Pyrotechnik.

Und genauso ohne Zweifel ist es wichtig, mehr und bessere Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, die diesen Problemen effektiv und nachhaltig entgegenwirken. Allem voran gilt es Unbeteiligte wirksam zu schützen und jedem Fan einen genauso friedlichen wie emotionalen Stadionbesuch zu ermöglichen.

Sowohl das unterzeichnete „Abkommen“ beim Sicherheitsgipfel als auch die von DFB und DFL zum Verlesen vorgesehenen Texte halten wir für ungeeignet, um damit tatsächliche Verbesserungen im Stadion erreichen zu können. Auch für das Verhältnis der Vereine zu ihren eigenen Fans und für den ehrlichen Dialog auf lokaler Ebene halten wir sie für kontraproduktiv, die Gründe hierfür stellen wir im Folgenden genauer dar.

Betonen möchten wir schon an dieser Stelle, dass wir das Vorgehen in Bielefeld – unter anderem mit Gesprächen rund um den Sicherheitsgipfel und eines unter Einbeziehung von Fanvertretern entwickelten eigenen Texts – sehr begrüßen. Der bundesweite Konflikt greift hierdurch deutlich weniger auf die Situation in Bielefeld durch als in anderen Vereinen, sodass das Arbeiten an Problemen vor Ort nicht negativ beeinflusst wird.

Die Idee vom gemeinsamen Konsens bei DFB und DFL

Es ist in der Theorie ein schöner Plan, den Politik, DFB und DFL derzeit verfolgen, um endlich Gewalt aus den Stadien zu verbannen und einen Abschluss in der von den Verbänden beendeten Pyrotechnikdebatte demonstrieren zu können:

Zuerst werden alle Vereine zu einem Sicherheitsgipfel einberufen und unterschreiben dort ohne Mitwirkungs- oder Diskussionsmöglichkeit ein vorbereitetes Abkommen („Wir treten für die Werte des Fußballs ein | Wir verurteilen jede Form von Gewalt | Wir dulden keine Pyrotechnik beim Fußball | Wir bestehen auf die Einhaltung der Regeln | Wir stehen für eine konsequente Sanktionierung ein“), dann verlesen die Kapitäne aller Vereine einen Text über das Stadionmikrofon, wie es „der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zusammen mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) beschlossen“ hat.

Der Text,  der bereits am vergangenen Wochenende vor den meisten Partien verlesen wurde, lautet folgendermaßen:

Liebe Fans!
Fußball ist die Leidenschaft, die uns verbindet. Unser gemeinsamer Sport.
Dabei haben wir alle – Spieler, Trainer, Fans, Klubs aber auch Sponsoren und Medien eine Vorbildfunktion. Millionen sehen an jedem Wochenende die Leistungen der Teams und sind fasziniert von der Stimmung in den Stadien.
Dazu gehören Leidenschaft, Emotionen und Stehplätze!
Als Kapitän von (Name des Vereins) spreche ich für meine Mannschaft und unseren Klub: Helft mit, diese Werte, die den Fußball so einzigartig machen, zu erhalten.
Es gibt aber auch Dinge, die in unseren Stadien nichts zu suchen haben. Wir stellen uns klar gegen Rassismus, gegen Diskriminierung, gegen Gewalt und auch gegen Böller, Rauchbomben oder Bengalos.
Unterstützt den Fußball mit fairen und legalen Mitteln, damit helft Ihr uns!
Wir zählen auf Euch!
Vielen Dank!“

Damit gibt es dann gleich zwei Konsenserklärungen, mit denen zunächst einmal öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellt werden kann, wie einig sich alle Vereine in den Fragen „Gewalt“ und „Pyrotechnik“ sind, um die es aktuell am meisten geht. Zusätzlich sind Rassismus und Diskriminierung in den verlesenen Text mit aufgenommen worden, gegen die schon jahrelang sehr aktiv auch von Fangruppen unterschiedlichster Couleur gearbeitet wird und bei denen bereits Verbesserungen – gerade durch das Einbeziehen von Fans – erreicht werden konnten, wenngleich noch längst nicht davon die Rede sein kann, dass es kein Problem mehr wäre: es muss weiter daran gearbeitet werden, gar keine Frage!

Beim zweiten Hinsehen ist natürlich unschwer erkennbar, dass mit der solidarischen Erklärung auch die Vereine „auf Linie“ gebracht worden sind, die zwischen den Zeilen oder sogar ganz offiziell immer noch erklärten, dass sie sich für ihre eigenen Stadien vorstellen könnten, dass legale Pyroaktionen möglich sein könnten.

Als theoretisches Ergebnis steht damit für DFL und DFB am Ende dieser beiden medienwirksamen Aktionen ein gelungener Abschluss einer unrühmlichen öffentlichen Debatte – ohne dass auch nur ansatzweise der eigene Anteil an der Eskalation hätte beleuchtet werden müssen oder Fans in das Finden der Lösung einbezogen wurden. Dabei geben die Verbände selbst unumwunden zu, dass die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt und nur der Rahmen abgesteckt wurde. In der öffentlichen Darstellung ist es jedoch einfacher, mit Drohkulissen zu arbeiten, insbesondere, wenn das Verständnis für die komplizierten Einzelkonflikte nicht vermittelbar oder gar nicht vorhanden ist.

Wobei man den Verbänden zugestehen muss, im Vergleich zu anderen Stellen moderatere Töne anzuschlagen:
Die Politik nutzt als  Damoklesschwert „Stehplatzverbot“, um der dort wahrgenommenen „neuen Dimension der Gewalt“ Einhalt zu gebieten, von Polizeiseite werden kollektive Fanausschlüsse, Zahlungen für Polizeieinsätze oder personalisierte Tickets gefordert, die Verbände selbst setzen eher auf Übertragung der Geldstrafen auf identifizierte Einzeltäter. In dem verlesenen Text stellen sie sich klar gegen die politische Drohung des Stehplatzverbots, halten dem auf sie ausgeübten Druck jedoch insgesamt immer weniger Stand. Mit der öffentlich demonstrierten Einigkeit in den zentralen Problemfeldern kann zumindest etwas mehr Zeit gewonnen werden, um weiter sinnvolle Maßnahmen suchen zu können und das Zepter des Handelns nicht von der Politik aus der Hand genommen zu bekommen.

Soweit die Theorie, die auf den politischen und medialen Bühnen vermutlich wirklich beruhigend wirkt, in den Stadien selbst aber eher das Gegenteil erreicht.

Unter Fans bewirkt es im besten Fall ein zustimmendes Nicken, bei den meisten vermutlich rein gar nichts, bei vielen verschärft es jedoch die Ablehnung gegenüber den Verbänden, wobei nun auch die eigenen Vereine und Kapitäne in die Kritik eingeschlossen werden. Und dieses Letztgenannte ist es, was das Vorgehen besonders problematisch macht und in der Praxis spürbar werden wird.

Von der Theorie in die Praxis:

1.       Das Unterzeichnen des Konsens

Weiterführende Erläuterungen zum Inhalt findet Ihr hier.

Es bleiben also viele Fragen offen, was genau gemeint ist und wie der gemeinsame Konsens konkret aussieht, wenn man die einzelnen Grundaussagen hinterfragt.

So paradox es ist: Das Unterschreiben der Aussagen als solche wäre nicht halb so problematisch zu werten, wenn der Unterschrift ein reeller Diskurs über Inhalte und Bedeutungen vorausgegangen wäre; wenn mit dem Abkommen auch den Fans hätte erklärt werden können, was die einzelnen Aussagen bedeuten und das Ganze ab sofort tatsächlich mit Leben gefüllt werden könnte. So ist es aber eine halbgare Mischung aus Symbolik, gemeinsamem Konsens und Freifahrtsschein, der einer demokratisch organisierten Solidargemeinschaft unwürdig ist.

2.       Das Verlesen der Texte

Weiterführende Erläuterungen zu Vorgehen und Inhalt findet Ihr hier

Es wird durch diese Zwickmühlen – ähnlich wie bei dem Unterzeichnen – kaum einen Verein geben, der von der vorgegebenen Linie abweicht und ein auf seine lokalen Gegebenheiten besser zugeschnittenes Vorgehen wählt.

Dass Arminia Bielefeld genau diesen Weg gehen wird (nach Rücksprachen eine eigene Version zu verlesen), macht damit umso deutlicher, dass es im Verein ein ganz ernstes und bewusstes Interesse am Einbeziehen der Fanbasis gibt, dass der Dialog ernstgenommen wird und auch der Gewalt- und Konfliktforscher Prof. Zick mit seiner Einschätzung während der Podiumsdiskussion richtig lag, dass Arminia eine Ausnahme und ein gutes Beispiel darstellt. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Fans hier einbezogen werden und mitwirken können und danken allen Beteiligten, dass der ehrliche Dialog in Bielefeld möglich ist!

Für die bundesweite Situation ist dies jedoch leider die Ausnahme, sodass wir uns hier mit dem von DFB und DFL beschlossenen Text befassen möchten. Den Inhalt des Textes habt Ihr oben nun schon einmal gelesen und vermutlich keine größeren Bedenken im Hinterkopf, wenn Ihr an die wenigen Zeilen denkt. Es gibt inhaltlich zwei Hauptkritikpunkte:

Zum Einen bezieht sich „wir“ und „uns“ auf stets wechselnde Personengruppen.
Die angesprochenen Fans werden nahezu willkürlich in einem Satz in „wir“ eingeschlossen, während sie schon im nächsten Satz wieder ausgeschlossen sind, sodass zum Ende hin unklar wird, ob Fans in „wir“ ein- oder ausgeschlossen sind. Unklar bleibt auch, wann nur für die eigene Mannschaft und den eigenen Verein und wann für alle Teams und alle Klubs gesprochen wird.

Es ist DFB und DFL nicht gelungen, den Kapitänen einen Text an die Hand zu geben, mit dem die Verbindung – die Grundlage der gemeinsamen Anstrengungen mit den Fans werden soll – auch nur ansatzweise transportiert werden kann.

Zum anderen ist es zwar gelungen, alle relevanten Schlagworte in einem kurzen Text unterzubringen, der vor dem Anpfiff nicht zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Aber gerade durch die Kürze werden Aussagen so rudimentär zusammengefasst, dass z.B. allein Leidenschaft, Emotionen und Stehplätze zu den Werten werden, „die den Fußball so einzigartig machen“. Mindestens für Fans sind aber etliche weitere Werte elementar für den Fußball.
Gerade bei einem so knapp formulierten Text mit so großer Breitenwirkung wäre eine sorgfältigere Wortwahl notwendig gewesen. So erweckt es erneut den Eindruck, dass die einfachsten Grundlagen der Kommunikation mit Fans bei den Verbänden überhaupt nicht angekommen sind.

Der Text ist dabei kein Einzelfall – Kommunikation schon lange zentrales Problem

Weiterführende Erläuterungen zur Kommunikations-Historie findet Ihr hier.

Das Interesse an Verbesserungen im Fußballalltag haben alle Beteiligten schon lange gemeinsam. Durch die massiv gestörte Kommunikation und das grundlegend unterschiedliche Verständnis eines funktionierenden Dialogs rücken jedoch zunehmend die gemeinsamen Ziele und das Entwickeln sinnvoller Maßnahmen in den Hintergrund. Es wird eine (Schein-?) Diskussion über Sinn und Gefahr von Stehplätzen in den Vordergrund gerückt, womit dutzende alltägliche Konfliktfelder verdrängt werden. Für diese die Kräfte von Vereinen und Fanbasis zu bündeln und gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln, würde deutlich mehr Positives bewirken als die Energie für den Erhalt erwiesenermaßen sicherer Stehränge einsetzen zu müssen.

Dass DFB und DFL unter dem Druck der öffentlichen Aufmerksamkeit und der politischen Fokussierung Signale setzen möchten ist nachvollziehbar und sicherlich auch wichtig. Dies jedoch ohne reelle Rücksichtnahme auf die lokalen Besonderheiten ihrer Mitgliedsvereine zu machen und ihnen kaum zeitliche Möglichkeiten einzuräumen, den Konsens vor Ort im Dialog zu suchen, bevor er verkündet wird, beweist einmal mehr, wie wenig sie die komplexen Problemfelder vor Ort einordnen können. Sofern es Vereinen gelingt, in der knappen Zeit den Dialog zu führen und Ergebnisse zu entwickeln, ermöglichen sie jedoch auch das Verlesen eigener Texte, was positiv anerkannt werden muss.

Was bedeutet dies nun für Bielefeld?

Dass in Bielefeld Gespräche vor und nach dem Sicherheitsgipfel zur gemeinsamen Besprechung möglich waren, hat die Einordnung, wieweit die bundesweiten Probleme auf die Entwicklungen hier bei Arminia Einfluss nehmen, deutlich erleichtert. Dass Thomas Hübener einen im DSC entwickelten Text verlesen kann, trägt darüber hinaus wesentlich dazu bei, dass die Enttäuschung über das Vorgehen von DFB und DFL Arminia als Verein nicht gleichermaßen einschließt.

Es gibt mit der Fan-AG und in den Fanorganisationen selbst sehr gute strukturelle Voraussetzungen für einen funktionierenden Dialog. Dazu kommen etliche sehr gute persönliche Kontakte, die weit über die organisierten Fanstrukturen hinausgehen und Arminias Verantwortlichen „auf kurzem Weg“ regelmäßigen Einblick in die Fans bewegenden Themen und drängenden Faninteressen ermöglichen.

Dass diese Möglichkeiten der Einbeziehung und Berücksichtigung genutzt werden, zeigt der eigene Text genauso wie die Art, mit der Fan- und Mitgliederanliegen im Verein behandelt werden. Je mehr auf die guten Voraussetzungen auch in fan- bzw. mitgliederrelevanten Entscheidungsfindungen zurückgegriffen wird, desto besser kann Konflikten und Missverständnissen vorgebeugt werden. Zudem fördert der regelmäßige Austausch hier in Bielefeld das Verständnis füreinander, womit auch das gegenseitige Vertrauen positiv beeinflusst wird.

Wir haben hier eine Situation, die Potential für sehr gute weitere Schritte bietet und sind zuversichtlich, dass der  gesamte Verein hiervon auch in Zukunft profitieren wird. Es ist notwendig, regelmäßig den Impuls neu zu geben und genauso zu hinterfragen, was besser gemacht werden kann und wo sich vielleicht etwas falsch entwickelt. Es bedeutet Arbeit und ständiges Bemühen, das wir sehr gerne einbringen, um Fan- und Mitgliederinteressen in Entscheidungsfindungen eine Chance zu geben. Dass auch im DSC insgesamt die eigene Arbeit an gutem Dialog angenommen und ernstgenommen wird, dass die Verbindung gelebt wird, auf der Verbesserungen aufbauen können, spricht unter anderem aus dem Text, den Thomas Hübener heute abend im Stadion verlesen wird:

Liebe Fans & Mitglieder, liebe Arminen und Unterstützer des DSC,

als Kapitän bin ich stolz auf das, was in der noch jungen Saison
bereits erreicht werden konnte! Besonders das Pokalspiel hat allen, die es
miterlebt haben, gezeigt, welche Leidenschaft uns verbindet, was Fußball in
Bielefeld bedeutet und dass das gemeinsame Ziel Berge versetzen kann.

Wir sind an und über unsere Grenzen gegangen und mit einem
fantastischen Sieg, großartigen Emotionen und dem Einzug in die zweite Runde belohnt
worden. Ihr alle habt einen ganz großen Anteil an diesem Erfolg!

Unser gemeinsamer Erfolg wurde dabei nicht durch gewalttätige
Auseinandersetzungen, Böller-, Becherwürfe oder ähnliches getrübt – auch hier
sind wir alle zusammen auf dem richtigen Weg! Wir alle möchten diesen Weg
gemeinsam weitergehen und die Saison mit fairen und legalen Mitteln zu einer
erfolgreichen Saison für den Verein werden lassen!

Für Arminia, für Bielefeld, für faire und legale Mittel auf dem Platz und allen Tribünen!

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