Fankongress 2014: Mehr als nur Gerede

Am Samstagmorgen des 18. Januar hatte sich bereits eine lange Schlange vor dem „Kosmos“ in Berlin gebildet, als um 9 Uhr die Tore zum Fankongress geöffnet wurden. Egal ob Erstligisten, Regionalligisten, Fanorganisationen oder Fanszenevertreter, Allesfahrer oder Stadionverbotler – sie alle waren gekommen, um die im Fußballalltag wichtigen Themen zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen. Im besten Fall, um eigenen Forderungen und Vorstellungen mehr Nachdruck zu verleihen.

Auch die Presse war zahlreich angereist, viele Kameras und Mikrofone säumten den großen Saal, als Helmut Spahn die Grußworte an den Kongress richtete und anschließend die bevorstehenden Workshops erläutert wurden. Von Sponsoreneinfluss, 50+1 und Vereinssatzungen zu Fanutensilien und deren (Nicht-)Genehmigung, von Rechtshilfe für Fans und Medienarbeit zum Dialog im eigenen Verein, von Fanvertretung und Fanprojekten zu den Problemen der Amateurligen und –vereine bis hin zu den beiden großen Podiumsdiskussionen zum Verhältnis zwischen Fans und Polizei sowie Grenzen und Chancen der Selbstregulierung im Hinblick auf Antidiskriminierung wurde eine so breite Palette an Themen geboten, wie es sie auf den bisherigen Kongressen noch nicht gegeben hat. Manchem Pressebericht merkte man später die Schwierigkeit an, den Kongress zusammenzufassen.

Es reicht keine plakative Überschrift mit dramatischem Foto, das einmal mehr das altbekannte Bild der brandschatzenden Horden im Fußball zeichnet. Um den Kongress widerzuspiegeln, musste inhaltliche Recherche geleistet werden, dem Leser ein ganz anderes Bild vom Fußballfan vermittelt werden, als es derzeit üblich ist. Denn obwohl über 80 Fußballszenen vertreten waren, brachen in Berlin weder Massenschlägereien noch wilde Tumulte aus. Allerdings zeitgleich in Köln, was nun wiederum mit dem Fankongress nicht direkt in Zusammenhang stand. Einige Redaktionen waren aber offenbar nur zu dankbar, beides in einen Topf werfen zu können und damit die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kongressthemen abkürzen zu können. Was schade ist, weil es sehr gute Workshops und Diskussionen waren, die weit über die Fanszenen hinaus relevant für den Fußball sind.

Als ASC können wir vor allem über das Thema „Verein und Mitglieder“ berichten, an dem wir mit zwei Vertretern mitgewirkt haben. Hier ging es im ersten Workshop um den Einfluss von Sponsoren und die Bedeutung von 50+1 sowie die Frage, ob die eigentlich geltenden Regeln noch konsequent angewandt werden. In der Nachbetrachtung wurde auch in überregionalen Medien aufgenommen, dass sich DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig deutlich „pro-50+1“ positionierte und darüber hinaus äußerte, dass es einen speziellen Fall gebe, der zwar aktuell noch nicht unter DFL-Zuständigkeit falle, dem gegenüber jedoch schon angesprochen worden sei, dass die derzeitige „Vereinsstruktur“ Probleme für die Zweitligalizenzierung verursache. Auch wenn der Name nicht ausgesprochen wurde, RB Leipzig dürfte diese – nun öffentliche – Positionierung nicht freuen.

Dass dieser Inhalt medial aufgenommen wurde, ist ausgesprochen zu begrüßen, wenngleich die diskutierten Probleme viel weitreichender waren: Wir müssen nicht auf Leipzig warten, um ungleiche, wettbewerbsverzerrende und kaum noch zu regulierende Zustände im deutschen „Vereinsfußball“ zu haben. Bayer Leverkusen und vor allem der VW-Konzern haben die Voraussetzungen längst geschaffen, vor denen im Zusammenhang mit RedBull immer wieder gewarnt wird. Keinem „Verein“ wäre es erlaubt, einfach Anteile an einem Ligakonkurrenten zu kaufen oder einen eigenen Vertreter in dessen Aufsichtsrat zu schicken. VW darf das mit seinen diversen Tochterunternehmen. 100% am VfL Wolfsburg, 9,1% an Bayern München, 19,94% am FC Ingolstadt, dazu zwei Aufsichtsräte in der Bayern München Fußball AG und mitunter wesentliches Sponsoring in 17 weiteren Vereinen der 1. und 2. Bundesliga.
Von Gleichbehandlung in der Lizenzierung kann somit keine Rede sein, solange es Ausnahmen wie diese im Profifußball gibt. Und auch ohne Mehrfachbeteiligungen wächst der Einfluss von Sponsoren im Fußball. Ob Hopp in Hoffenheim, Gazprom in Gelsenkirchen oder Martin Kind in Hannover, sie alle wurden als Beispiele genannt. Die Teilnehmer im Workshop waren sich einig, dass die Verbände hier aktiver gegensteuern müssen, um den Fußball vor einer Fremdsteuerung zu schützen – wobei Andreas Rettig betonte, dass an einer konkreteren Ausgestaltung der 50+1-Regel bereits gearbeitet werde. Wir hoffen, dass diese umfangreich ausfällt und möglichst schnell kommt!

Der zweite Workshop befasste sich mit Vereinsstrukturen und Satzungsarbeit, zeigte vor allem häufige Schwachpunkte auf und verdeutlichte, wie schwer es für das einzelne Mitglied mitunter ist, selbst gravierende Mängel zu beheben. In der vorgestellten Studie der Uni Leipzig fiel besonders ins Auge, dass nach wie vor nicht in allen Vereinen Kontrollorgane etabliert sind, was angesichts der zunehmenden finanziellen Schieflage und Risikobereitschaft im deutschen Fußball kaum nachvollziehbar ist. Auch, dass es Vereine gibt, in denen der Vorstand sich sein Kontrollgremium nach eigenem Ermessen selbst zusammenstellen darf, sorgte für ungläubiges Kopfschütteln der anwesenden Fans. Das nach der Präsentation der Studie vorgestellte Handbuch „Mein Verein – Perfekter Verein?“ von Unsere Kurve zeigt die Gründe nochmals deutlich auf, wieso solche Konstellationen keine gute Idee sind und gibt darüber hinaus wertvolle Hinweise, worauf Mitglieder in ihren Vereinen und Satzungen besonderen Wert legen sollten.

Die anschließende Diskussion beschäftigte sich zum Teil mit konkreten Beispielen, wie Satzungsarbeit in einzelnen Vereinen funktioniert, zum anderen aber auch mit strategischen Tipps, wie eigene Anträge erfolgreich eingebracht werden können. Auch Satzungskommissionen wurden kritisch hinterfragt, da hierin oftmals Kompromisse eingegangen werden müssen. Andererseits gibt es in vielen Vereinen so hohe Hürden für Mitgliederanträge, dass kaum eine Alternative bleibt. Nicht nur in diesem Punkt stellte sich schnell dar, dass jede Satzung ein Unikat und historisch gewachsen ist. Die jeweiligen Eckpunkte lassen sich zwar übertragen, nicht aber die im Einzelnen beste Ausgestaltung und Vorgehensweisen. Insgesamt machte der Workshop deutlich, dass sich nach wie vor nur wenige Mitglieder wirklich in die (zugegeben komplizierte) Satzungsarbeit im eigenen Verein einbringen, das Bewußtsein jedoch deutlich zunimmt, dass dies eine sehr wichtige Aufgabe nicht nur für Fan- und Mitgliedervertretungen ist. Wichtig vor allem zum Schutz der eigenen Rechte, aber mitunter auch des gesamten Vereins.

Es waren zwei wirklich gute Workshops, die nicht nur an der Oberfläche kratzten. Sie zeigten auf beeindruckende Weise, dass in Berlin Fußballfans zusammengekommen waren, die sich ernsthaft und mit viel Einsatz in die Themen eingearbeitet haben – oder dazu bereit sind und sich Anregungen wünschten, wie sie effektiv Missstände angehen können.

Neben diesen beiden gab es acht weitere Workshops. In den Pausen gab es rund um den Markt der Möglichkeiten mit zahlreichen Ständen einen regen Austausch: Wer hatte welche Diskussionen besucht und wie war der Eindruck? Dabei war durchweg positives Feedback zu hören, sowohl was die Themenauswahl als auch die Inhalte selbst anging. Einen Überblick gibt der Ticker des Fankongress, den wir hier nicht nochmal als eigene Zusammenfassung umschreiben möchten für Workshops, die wir nicht selbst besucht haben.

In der den Samstag abschließenden großen Podiumsdiskussion wurde das Dauerthema „Fans und Polizei“ beleuchtet. Wenngleich das Interesse im Vorfeld daran besonders groß war, war hier kaum mit neuen Erkenntnissen oder Wendungen zu rechnen. Zu verfahren ist die Situation derzeit, zu populistisch äußern sich Vertreter immer wieder aufs Neue und zu gering ist das gegenseitige Verständnis bei kaum vorhandenem Vertrauen. Dabei gibt es durchaus positive Beispiele, die auf dem Podium vor allem durch den Berliner Einsatzleiter zur Sprache kamen. Jedoch gehen sie unter in den immer wiederkehrenden negativen Beispielen und Erfahrungen, von denen beide Seiten mehrere Bücher schreiben könnten. In die ohnehin angespannte Diskussion brachte Bernd Heinen, Vorsitzender des Nationalen Ausschuss Sport und Sicherheit, den lebensgefährlich verletzten Fan aus Köln ein: Dort sei gerade ein Fan zusammengeschlagen worden und es sei noch nicht sicher, ob er überleben werde. Dafür würde er auch hier zum Telefonieren rausgehen, das gehöre zu seinem Job.

Diese Aussage saß. Betroffenheit. Fragende Blicke. Einige wenige im Raum hatten bereits vorher davon gehört, die weit überwiegende Mehrheit jedoch nicht. Smartphones hatten in den kommenden 15 Minuten die deutlich größere Aufmerksamkeit als die Diskussion auf dem Podium, ein weiterer Extremfall dominiert über die mehr als zaghafte Andeutung eines Dialogs.

Auch wenn sich die Diskussion von diesem Moment in der Folge erholte, blieben sich Fan- und Polizeivertreter fremd und unnahbar. Willkür, Unverhältnismäßigkeit sowie fehlende Selbstkritik und das Verschleiern eigenen Fehlverhaltens auf Polizeiseite werden als Hauptgründe für das zerrüttete Verhältnis von Fanvertretern genannt, während die Polizeivertreter mehrfach ein Gesprächsangebot machten, jedoch nicht ohne auf den staatlichen Auftrag und die engen Grenzen des eigenen Ermessensspielraums zu verweisen. Es kam auch hier in Berlin zu keiner neuen Wendung, die Diskussion machte aber einmal mehr deutlich, warum es derart verfahren ist und dass es viel Arbeit bedeuten wird, wenn sich das tatsächlich ändern soll.
Eine Möglichkeit, die im Diskurs zwischen einem BvB-Anhänger und dem Berliner Einsatzleiter aufgezeigt wurde und zumindest kein kollektives Kopfschütteln erntete, war die Einbeziehung von direkten Fanvertretern in die regelmäßig stattfindenden Sicherheitsbesprechungen und Spielnachbetrachtungen. Wenn man so möchte, zumindest ein klitzekleiner Ansatz zur Annäherung unter all den festgefahrenen Vorwürfen und altbekannten Problemen.

Der Sonntag stand dann zunächst im Zeichen der zweiten großen Podiumsdiskussion, in der das Thema Rechtsextremismus in Fankurven beleuchtet wurde. Hier fand sich keine reelle „Gegenseite“ bei den Argumentationen, sodass wenig kontrovers diskutiert wurde und eher anhand von Beispielen die aktuelle Situation dargestellt wurde. Interessant wurde es, als hinterfragt wurde, wieweit auch Fußballfans selbst andere Szenen oder Fangruppen vorverurteilen und ob nicht zu wenig hingeschaut werde, bevor einer Gruppe der Stempel „rechtsoffen“ aufgedrückt werde. Auch, dass es mitunter keine Akzeptanz dafür gebe, wenn sich eine Gruppe gegen jede politische Äußerung ausspreche und somit auch keine Banner „gegen Rechts, Diskriminierung und so weiter“ präsentiere, könne nicht im Sinne der gewollten Vielfalt sein: Allein die Tatsache, dass solche Banner nicht hängen, ließe keinesfalls den Rückschluss auf eine rechtsoffene Haltung zu. Entgegengehalten wurde dem, dass es sich dabei nicht um politische Statements sondern generelle Selbstverständlichkeiten handele, die für jede Kurve ein wesentliches Anliegen sein sollten.
Im Zuge dessen entwickelte sich auch ein selbstkritisches Hinterfragen, wieweit eigene Vorurteile bestehen und wie schwer ein einmal entstandenes Bild wieder revidiert wird, bevor das Mittagessen die Diskussionen etwas früher als vorgesehen beendete. Als Fazit kam eine von allen getragene Ablehnung extremistischer Haltungen in der eigenen Kurve deutlich hervor, was angesichts des von allen Fankongressteilnehmern im Vorfeld akzeptierten Grundkonsens` nicht verwundern konnte. Allerdings wurde auch deutlich, dass der Wunsch nach mehr Unterstützung gegen Extremismus von Vereinen und Verbänden bei sehr vielen Fans vorhanden ist und dass sie gerade bei Auseinandersetzungen mit extremistischen Gruppen mehr als nur öffentliche Statements der eigenen Vereine erwarten.

Am Nachmittag folgte dann die Präsentation der Workshopinhalte und –ergebnisse. Im Zuge dessen wurde auch nochmals betont, dass die Schlägerei in Köln absolut verurteilt werde und dass der Einfluss auf manche Gruppen leider nicht gegeben sei. Inzwischen sei der Fan außer Lebensgefahr, was zumindest eine gute Nachricht aus Köln sei. Jakob Falk von ProFans äußerte in diesem Zusammenhang, dass man nicht die Möglichkeit habe, alles zu verhindern und dass dies auch nicht die Erwartung an Fanvertretungen sein könne. Er betonte, dass hier in Berlin viele bemerkenswert positive Entwicklungen zu sehen gewesen seien, auf die sich gut aufbauen lasse, bevor der Dank an Teilnehmer und Organisatoren des Fankongresses 2014 eben diesen beendete.

Neben den eigentlichen „großen“ Diskussionen sind auch bei diesem Fankongress einmal mehr die kleinen Gespräche am Rande hochinteressant und informativ gewesen. Der Austausch darüber, wie sich Dinge in anderen Vereinen entwickeln, gibt immer wieder wertvolle Anregungen für die Arbeit hier vor Ort. Man kann sich gute Ideen abgucken oder auch eigene Erfahrungen weitergeben, ohne dass es groß geplant werden müsste. Solche Kongresse sind immer wieder auch ein Schauplatz für Networking und festigen die vereinsübergreifenden Kontakte, die unerlässlich sind, um Faninteressen in Deutschland Gehör zu verschaffen.
Kein anderes Land kann auf ein so breit gefächertes und inzwischen so gut akzeptiertes Fannetzwerk aufbauen, das der Fankongress von Unsere Kurve und ProFans einmal mehr eindrucksvoll gezeigt hat. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen ist zudem eine große Chance für die effektive Vertretung von Faninteressen in Deutschland – und dass der Kongress sie noch enger hat zusammenrücken lassen, ist nur eines der wirklich wertvollen Ergebnisse der zwei Tage in Berlin.

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